KINDERPSYCHIATER SCHULTE-MARKWORT - 11 ERZIEHUNGS-NO-GOS SOLLTEN ELTERN UNBEDINGT VERMEIDEN

Eltern wollen nur das Beste für ihre Kinder. Doch darin kann auch ein Problem liegen. Übertriebener Ehrgeiz führt zu überangepassten und verbogenen Kinderseelen. Ein Gastbeitrag von Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort.

Was sind die 11 No-Gos in der Erziehung, die Eltern vermeiden sollten?

  • Begegnen Sie ihrem Kind nicht mit grundsätzlichen Unterstellungen .
  • Zweifeln Sie nicht an ihrem Kind - authentisch!
  • Kontrollieren Sie ihr Kind nicht. Kontrolle ist überflüssig und Vertrauen besser.
  • Misstrauen Sie ihrem Kind nicht - es ist Gift für die Seele.
  • Verlieren Sie nicht den Glauben  an ihr Kind.
  • Führen Sie keine Monologe. Gehen Sie immer in den fragenden Dialog.
  • Strafen Sie nicht.
  • Halten Sie Persönlichkeitsgrenzen  immer ein.
  • Seien Sie nie  respektlos. Wertschätzung und Respekt sind die gesunden Dimensionen.
  • Missachten Sie ihr Kind nie.
  • Schließen Sie ihr Kind nicht aus - auch nicht aus ihrem eigenen Leben.

Wie definiert man 'Erziehungsehrgeiz' und wann kann es schädlich für das Kind werden?

Erziehung als solches ist schon ein schwieriger Begriff, weil er unterstellt, dass ein anderer Mensch - in der Regel ein Kind - in einen bestimmten Zustand des Verhaltens „gezogen“ werden muss. Wir gehen immer davon aus, dass Kinder sich von unreif zu reif entwickeln und dies nur unter Zuhilfenahme bestimmter Erziehungsmethoden in einen erwachsenen und reifen Zustand gebracht werden kann. Richtiger wäre es, jedem Kind den für seine Lebens- und Entwicklungsphase passenden Reifezustand zuzugestehen.

Es gibt natürlich mehrheitlich reife Säuglinge, Kinder oder oder Jugendliche. Und selbstverständlich müssen wir ihnen zeigen und vorleben, wie Leben funktioniert. Wenn es um Lerninhalte geht, dann braucht man dafür pädagogische Methoden. Wenn es aber um emotionales und soziales Lernen geht, müssen wir lediglich innerhalb einer liebevollen fürsorglichen Beziehung vorleben, zeigen, wie man sich und sein Leben bewältigt. Dazu braucht man keine Erziehung, sondern nur aktiv gelebte Beziehung.

Auf der Grundlage dieses grundsätzlichen und fatalen Missverständnisses entsteht dann nicht selten ein Ehrgeiz, die Kinder besonders effektiv, besonders schnell und erfolgreich irgendwo „hinzuziehen“, zu erziehen. Dieser Ehrgeiz geht in der Regel an den Persönlichkeiten und Bedürfnissen unserer Kinder vorbei und führt zu (über-)angepassten und verbogenen Kinderseelen.

Das ist ungesund und schädlich.

 

Welche Auswirkungen hat die Leistungsgesellschaft und der ständige Druck auf die psychische Gesundheit unserer Kinder?

Zunächst eine wichtige Vorbemerkung: Leistung ist per se nichts Schlechtes oder Schädliches. Leistung kann Ausdruck von Gestaltungswille oder gesundem Ehrgeiz sein, Leistung kann Spaß machen. Wenn sich allerdings der Wert eines Menschen ausschließlich daran bemisst, welche Leistung sie oder er erbringt, werden wichtige Teile der Persönlichkeit negiert. Kinder erleben dann in der Schule, dass sie lediglich über ihre Noten an Wert gewinnen und dass ein guter Ausblick auf ihre Zukunft nur gelingt, wenn sie „performen“.

Ein Abitur schlechter als 1,9 ist dann z.B. nichts wert. Abgesehen davon, dass sportliche, musische oder künstlerische Leistung unangemessen unberücksichtigt bleiben, soziale oder emotionale Leistungsfähigkeit werden gar nie berücksichtigt. Dieser ständige Druck und die Negierung kindlicher Persönlichkeit führen zu falschen Selbstwerten, führen zu Selbstwerteinbrüchen bis hin zu Burn-out-Syndromen, Erschöpfungsdepressionen und Schulversagen, im Extremfall bis zur Suizidalität.

 

Wie können Eltern den Druck der Leistungsgesellschaft auf ihre Kinder mildern und ein gesundes Lernumfeld schaffen?

Der erste Schritt ist immer die Analyse des eigenen Ehrgeizes, der (falschen?) Wünsche an die Kinder und der eigenen Positionierung zu Arbeit und Leistung. Wenig sinnvoll sind Sätze, wie “mach doch einfach mal weniger" oder „für uns musst du das nicht machen“, weil sie die tägliche schulische Realität des Kindes negieren.

Im Gegenteil geht es zunächst um eine Anerkennung des kindlichen Dilemmas, sich innerhalb einer defizitorientierten deutschen Pädagogik einhergehend mit großem Leistungsdruck und negativen Erwartungen ("wenn ihr euch nicht anstrengt, wird sowieso nichts aus euch") zurecht finden zu müssen.

Gute Leistungen erbringt man dann am besten, wenn man gleichermaßen motiviert und entspannt ist. Eltern sollten also dafür sorgen, dass ihre Kinder sich authentisch verstanden fühlen, gefragt werden nach ihren wirklichen Sorgen und erleben, dass Eltern sich Zeit nehmen, sie zu unterstützen. Nicht, indem sie nur bei den Hausaufgaben helfen, sondern auch, indem sie Inseln der Gemeinsamkeit schaffen, auf denen sich alle erholen können und darüber in Lage versetzt werden, gemeinsam darüber nachzudenken, wie schulisches Lernen am besten z. B. mit alternativen Lernmethoden gelingen kann.

Erschöpften Eltern wird dann nichts anderes übrig bleiben, als auch ihr eigenes Leistungs- und Lernverhalten zu überprüfen. Wenn dann eine solidarische familiäre Gruppe entsteht, die sich um intrinsische Motivation kümmert, sind gute Grundlagen für eine Entlastung und Veränderung geschaffen.

Kann ein übermäßiger Erziehungsehrgeiz das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern verschlechtern?

Übermäßiger Erziehungsehrgeiz verlässt immer die Ebene der Beziehung. Er ist nie authentisch, zu streng, und führt zu tiefen Gefühlen des Verkannt- und Übersehen-Werdens. Damit implementiert sich beim Kind das Gegenteil dessen, was vordergründig intendiert ist: Es wachsen unglückliche Kinder mit einem schlechten Selbstwertgefühl heran, die entweder alles im Innen vergraben oder an anderer Stelle (aggressiv-frustriert) nach außen tragen.

Kinder, die nicht wissen, wer sie eigentlich sind, die sich nicht ausreichend geliebt fühlen und am Ende auch Symptome von Angst oder Depression entwickeln können. „Aber ich tue das doch nur aus Liebe zu meinem Kind, weil ich nur das Beste für es möchte!“ - das sind oft die Annahmen und Antworten dieser Eltern.

Sie unterschätzen dabei dramatisch, dass sich immer das transportiert, was im inneren als Haltung existiert. Und dann wird deutlich, dass es eine Grundannahme superehrgeiziger Eltern ist, dass ihren Kindern viel an Disziplin und „richtigem“ Verhalten fehlt. Wie soll man unter so einer Prämisse glücklich, zufrieden und leistungsstark heranwachsen?

 

Welche Ressourcen oder Strategien können Eltern nutzen, um einen gesunden Erziehungsehrgeiz zu fördern?

Auch ein gesunder Erziehungsehrgeiz ist überflüssig, nicht sinnvoll und potentiell schädlich. Beziehung statt Erziehung! Wenn das gelingt, müssen Eltern nur noch authentisch vorleben. Das alleine ist schon herausfordernd genug.

Jede gesunde liebevolle Beziehung birgt eine Menge Ressourcen. Ein liebevoller Blick auf das Kind, der sich nicht scheut, es immer auch mal wieder zurecht zu lieben, legt Blicke und Haltungen frei, die Kinder und ihre Beziehungen zu den Eltern stärken.

Damit bilden sich die wichtigsten und unumstößlichen Grundlagen für Kinder, die selbstbewusst und resilient in ihr Leben ziehen.

An längst nicht allen kindlichen psychischen Erkrankungen sind Eltern dynamisch beteiligt. Entwickeln Kinder Symptome, dann gilt die liebevolle Entschlossenheit, für sich und das Kind schnellstmöglich effektive Hilfe zu holen.

Eine vertrauens- und liebevolle familiäre Struktur schafft die besten Grundlagen, damit Kindern den Herausforderungen unserer Welt gewachsen sind. So eine Struktur will jeden Tag auf´s Neue gelebt, implementiert und überprüft werden.

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