NEUROWISSENSCHAFTLER - EINE FRAGE SOLLTEN SIE SICH DRINGEND STELLEN, UM IHR GLüCK ZU FINDEN

Was ist Glück, wie entsteht es in unserem Gehirn und wie beeinflussen Nostalgie und Verbundenheit unser Glücksgefühl? Neurowissenschaftler und Glücksforscher Tobias Esch gibt Antworten und sagt, welche Frage Sie sich unbedingt stellen sollten, um Ihr Glück zu finden.

Was ist Glück aus neurowissenschaftlicher Perspektive und wie entsteht das Glücksgefühl im Gehirn?

Glück ist zunächst erstmal ein Gefühl. Es ist erst im zweiten Schritt ein Nachdenken über den eigenen Zustand, das gegenwärtige Erleben, das Leben insgesamt; jedoch zuallererst das rohe Gefühl: Wenn man nachts geweckt werden würde und gefragt, wie es einem gerade geht, genau dieses Gefühl ist gemeint. Es wird im Belohnungssystem des Gehirns erzeugt, hat also eine harte biologische, auch körperliche Grundlage, basiert auf neurobiologischen Prozessen und Neurotransmittern.

Glück ist folglich alles andere als nur eine Vorstellung oder ein rein psychologisches Erleben. Es ist nicht „weich“ oder „Wellness“, sondern eine wirklich substanzielle und harte Währung: Letztendlich ist Glück alles, was einem das Gefühl vermittelt, lohnenswert zu sein - kleine Dinge, Glücksmomente, das Leben an sich.

Was haben Nostalgie und Verbundenheit mit Glück zu tun und wie wirken sie sich auf unsere Gehirnaktivität aus?

Nostalgie kommt von den griechischen Wurzeln für nostos und algos, Heimkehr, Zugehörigkeit, Heimat einerseits und Schmerz andererseits. Hier geht es im Wesentlichen um das Glück, nach Hause zu kommen. Und um den Schmerz, wenn wir nicht zu Hause sind.

 

Heimat macht glücklich, das Gefühl der Zugehörigkeit; der Gemeinschaft und sozialen Verbundenheit. Und all das mindert Schmerz. Im Gehirn finden wir ganz ähnliche Aktivitätsmuster wie beim Plazeboeffekt: Wir erwarten, wenn wir nach Hause kommen oder uns dieses vorstellen, dass es uns besser gehen wird, dass wir „heil“ werden. Diese Erwartungen und die zugehörigen Gefühle - sowie ihre physiologischen, auch gesundheitlichen Konsequenzen - werden vom hirneigenen Belohnungssystem erzeugt. Und wie der Name schon sagt: Das fühlt sich lohnenswert an, macht uns glücklich oder zufrieden. Es lässt uns am Ende bei uns selbst ankommen.

Was ist die Theorie der U-Kurve im Kontext von Glück und was halten Sie als Neurowissenschaftler davon?

Wir haben vor einigen Jahren beschrieben, dass es drei Arten von Glück gibt und dass diese sich etwas unterschiedlich über die Lebenszeit verteilen, d.h. in unterschiedlichen Lebensphasen und -altern unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Sie zusammen ergeben die „U-Kurve“ des Glücks, mit dem „Tal der Tränen“ etwa in der Lebensmitte: In der Jugend und vor allem in der zweiten Lebenshälfte scheinen Glück und Zufriedenheit am präsentesten zu sein, wobei eine vermeintlich erhöhte Zufriedenheit im Alter (etwa gegenüber der Lebensmitte) zunächst paradox erscheint. Daher sprechen wir hier auch vom „Zufriedenheitsparadoxon“. Gerade in der Lebensmitte ist das Leben oft subjektiv hart und wenig zufriedenstellend, weniger im Alter.

Die genannten drei Formen des Glücks stellen sich im Gehirn unterschiedlich dar, sie werden an unterschiedlichen Orten erzeugt und haben unterschiedliche Neurotransmitter zur Grundlage. Da ist zum einen das jugendliche Glück, das Glück der Vorfreude, der Erwartung. Dann, v.a. in der mittleren Lebensphase, das Glück der Erleichterung, wenn eine schwierige Phase, vielleicht das „Unglück“, eine Pause einlegt. Wenn der Stress nachlässt, wir durchatmen können, und sei es auch nur für eine kurze Weile.

Und dann schließlich gibt es das Glück der Zufriedenheit, die Glückseligkeit, wenn ich weder etwas haben will, noch etwas vermeiden muss, sondern mich genau am richtigen Ort, zur richtigen Zeit wähne, fühle – Gefühle von Dankbarkeit und Verbundenheit existieren.

Warum ist es wichtig, sich die Frage zu beantworten, wofür man morgens aufsteht und wie kann diese Erkenntnis zu einem erfüllten Leben beitragen?

Für uns Menschen ist es entscheidend, dass wir uns verbunden fühlen, zugehörig und eingebettet; dass wir beschützt werden bzw. uns geschützt fühlen und sicher; dass wir wachsen können, auch über uns hinaus. Diese Formen der Verbundenheit münden schließlich in ein Gefühl der Bezogenheit und Bedeutsamkeit - dass wir wissen, WOFÜR. Wofür lohnt es sich aufzustehen? Wofür lohnt es sich - letztlich - zu leben?

Oder, wie es Nietzsche schon schrieb: Hat man sein WARUM des Lebens, so verträgt man sich mit fast jedem WIE.

Viktor Frankl, der berühmte Wiener Nervenarzt, hat schon vor fast 100 Jahren dazu geschrieben, und er bezog sich ebenfalls auf Nietzsche, dass die Frage nach dem Sinn entscheidend wird, wenn eine Krise kommt. Die Lebenskrise. Auch die Midlife Crisis mag dazugehören. Dann nämlich teilt sich womöglich die Spreu vom Weizen. Nicht gut für jene, die keinen Sinn in sich haben.

Und wir leben wahrlich in krisenhaften Zeiten. Es ist folglich nicht nur sinnvoll, sondern geradezu notwendig, dass wir unser WOFÜR kennen, verbunden sind mit dem Boden, auf dem wir stehen, den Menschen um uns herum, aber vielleicht auch mit etwas „Höherem“, das über uns wacht. Fragen wir uns also bei Gelegenheit einmal: „Wofür stehe ich morgens auf?“ Und dann: „Warum gerade hier?“

Wenn uns die Antworten nicht gefallen oder wir keine finden, sollten wir hier eventuell mehr Zeit investieren - auch, um in die vermeintlichen Antworten, frei nach Rilke, eines Tages hineinzuleben!

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