„DOPAMIN DECOR“: WIE KANN WOHNEN FREUDE BRINGEN?

Es gibt wenige rezente soziale Phänomene, die sich nicht irgendwie als Konsequenz der Coronapandemie interpretieren ließen. Als dann in den letzten Jahren auf den Straßen, Laufstegen und in den sozialen Medien Beige à la „Vanilla Girl“ und uniformes Schwarz immer öfter intensiven Farben wichen, war das natürlich als Reaktion darauf zu verstehen, dass man sich davor monatelang zu Hause in Jogginghosen einsperren musste. Ja, selbst die größten Modehäuser tun es jüngst Künstlern wie Yves Klein (Blau) und Anish Kapoor (Schwarz) gleich und versuchen, gleich einen eigenen, meist kräftigen Signaturfarbton für sich zu besetzen, sei es Valentino in Pink, Bottega Veneta in Grün oder Gucci in dunklem „Rosso Ancora“.

In den sozialen Medien läuft der Hang zu Farbe und Extravaganz jedenfalls seit geraumer Zeit unter dem #DopamineDressing. Möglichst bunt, verspielt, kindlich, mit grafischen Mustern und vielen Accessoires lautet das Gestaltungsprinzip. Ein Beispiel liefert etwa die österreichische Designerin Florentina Leitner mit ihrer jüngsten Kollektion, die mit floralen Details, Zuckerlfarben und expressiven Accessoires Kindheitserinnerungen weckt (siehe Bild unten).

Biochemische Trends

Das Schema lässt sich ebenso gut auf den Wohnraum umwälzen. Was im Interior Design einst unter Maximalismus firmierte, findet sich in den sozialen Medien nun leicht adaptiert unter Hashtags wie #ClutterCore oder eben #DopamineDecor. Die Dopamin-Fixierung ist überhaupt in Mode, denn selbst die körpereigene Biochemie unterwirft sich neuerdings Trendbewegungen. So ist Dopamin zum Neurotransmitter der Stunde geworden, spätestens seit Publikationen wie „Die Dopamin-Nation“ von Anna Lembke. Zeigt sich die US-Wissenschaftlerin über die Dopaminsucht der westlichen Gesellschaft besorgt, die den ganzen Tag am Handy hängt und sich die Abende mit Netflix um die Ohren schlägt, sehen andere im Dopamin den erhofften Stimmungsaufheller in krisengeschüttelten Zeiten.

Jene, die sich an den ewigen, brav angeordneten Mid-Century-Wohnzimmergarnituren satt gesehen haben, fühlen sich vielleicht im „Dopamine Decor“ gut aufgehoben. Bunte Kunstdrucke bevölkern in scheinbarem Chaos die Wände, in den Regalen reihen sich kitschige Souvenirs an Flohmarktfunde, bunte Pölster zieren ebenso bunte Sofas, hier hängen Pflanzen von der Decke, da Discokugeln, kaum eine Wand bleibt weiß, und selbst die Tapete feiert ihr großes Comeback. Hauptsache der eigene Lebensraum stimmt fröhlich, beim Einrichten geht dabei vielen wohl das innere Kind zur Hand. Üppiger in der Gestaltung gab man sich im Raumdesign immer wieder, etwa mit den Pastellträumen der Nachkriegszeit, in der Space-Age-Ära oder etwa innerhalb der Memphis-Gruppe. Ganz neu ist diese Ästhetik also nicht, aber immerhin neu verpackt.

Eine Wiener Designerin, die seit Beginn ihrer Karriere für expressives Wohndesign steht, ist Laura Karasinski. „Ich habe einen Hang zu Memorabilien und ähnlichen Kleinigkeiten und mische gern Farben und Stile“, beschreibt sie die eigene gestalterische Handschrift. Die zeigt sich in Projekten wie der Pizzeria Pizza Bussi Ciao, dem Café Gustav Emil Paula Paula oder dem Boutique-Hotel Superbude (siehe Bild oben) in Wien sowie dem Traditionsbetrieb Frankowitsch in Graz. Aber auch viel internationale Erfahrung bringt die Designerin mit, weshalb sie weiß: In Wien geht man die Dinge ein wenig langsamer und zögerlicher an als vielleicht in New York, Paris oder London. Gerade für Laien ist das auch nachvollziehbar, denn versucht man sich selbst an der bunt-fröhlichen Umgestaltung der eigenen Wohnräume, könnte der Dopaminspiegel alsbald aus Frustration ins Negative kippen. „Die wichtigste Frage ist am Anfang: Wie will ich mich in diesem Raum fühlen? Ist es ein Ruheort, ein Arbeitsraum? Und dann überlegt man sich, wie man mit der Gestaltung des Raumes dort hinkommen kann“, sagt Karasinski.

Tipps und Tricks

Die Designerin empfiehlt, mit Farbproben und Stoffmustern zu arbeiten und sie gleich in den jeweiligen Lichtverhältnissen der Wohnung zu betrachten. „Wichtig ist auch, später nichts zu beleuchten, was man im Raum nicht sehen will. Deshalb muss man sich gut überlegen, wo man Lichtpunkte setzt“, so Karasinski. Und bevor man viel Geld für einen knallbunten Einbauschrank in die Hand nimmt, solle man am besten damit anfangen, ein einzelnes Zimmer auszumalen, und sehen, wie sich das anfühlt. „Das ist auch einfach wieder umzukehren“, sagt Karasinski.

Ihre Kollegin Andreea Cebuc vom Wiener Unternehmen C‘est Design sieht das ähnlich. „Im Schlafzimmer würde ich vielleicht nicht anfangen, lieber an einem Ort, wo ich mich nicht so viel aufhalte. Und dann am besten innerhalb einer Farbwelt bleiben, und für den Anfang mit Naturtönen wie Grün, Blau oder Terrakotta arbeiten, das entspricht unseren Sehgewohnheiten“, so Cebuc. Besonders unter jüngeren Kunden und Kundinnen spürt sie mehr Interesse für farbintensive und mutige Gestaltung. Ein Trend, der sich da auch zum Experimentieren eignet, ist „Color Drenching“: Ein ganzer Raum – inklusive Türstock, Decke und Leisten – wird dabei in unterschiedliche Abstufungen der gleichen Farbe getaucht. „Das gibt dem Raum Weite“, sagt Cebuc.

Will man noch dazu bunte Souvenirs, kleine Skulpturen, Bilder und Flohmarktfunde im Regal anordnen, schaut das Wohnzimmer schnell aus wie ein Altwarentandler. Karasinski empfiehlt deshalb zu gruppieren. „Hat man etwa eine Gläsersammlung, könnte man sie in einer Vitrine oder einem Schrank präsentieren und nicht einfach ins Regal stellen.“ Auch mit unterschiedlichen Höhen lässt sich spielen, ein paar Objekte etwa auf einem Stapel Magazine anordnen, um sie optisch von der Umgebung abzuheben. Mit etwas Glück wertet das nicht nur den Wohnraum, sondern auch den Dopaminhaushalt auf.

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