KREATIVE MODE-SZENE: DIE WIENER ALTERS-WILDEN

In einem Hinterzimmer drängen sich die Models. Ein Blick in den Spiegel, ob die Frisur hält und der Rock sitzt. Dann der Startschuss: Aus einer Box dröhnt Musik, eine Frau nach der anderen tritt aus dem Zimmer. Selbstbewusst, aufrecht, den Blick nach vorne gerichtet, marschieren sie über den imaginären Laufsteg. Eine Frau mit Klemmbrett dirigiert die Choreografie. Dann ist die Musik vorbei, die Models nehmen ihre finale Pose ein, die Umstehenden spenden Applaus.

Noch ist dieser leise – schließlich ist es erst ein Probelauf für den großen Auftritt bei der Vienna Fashion Week kommende Woche.

Die Models lachen, atmen durch, lassen sich auf die Sessel fallen. Ob sie schon aufgeregt sind? „Ach, das wird schon“, erwidert eine der Frauen und lacht. „Der Klaus Maria Brandauer ist mit 81 auch noch nervös. Das gehört halt dazu“, sagt eine andere.

Keine Eitelkeiten, keine nennenswerte Nervosität, dafür jede Menge Vorfreude. Kein Champagner, dafür Kaffee, Maresi und Zimtschnecken in einem Seniorentreff in der Gumpendorfer Straße. Und die Models, die sind allesamt selbstbewusste Frauen über 60: Ja, an dieser Generalprobe ist so einiges ungewöhnlich.

Neues Leben für Kleider

Die Idee dazu entstand vor einem Jahr: Madlena Komitova, Leiterin der Pensionistenklubs der Stadt Wien, stand damals vor dem Kleiderschrank ihrer verstorbenen Mutter. „Da waren schöne Stücke aus Chiffon, Seide oder Kaschmir dabei. Gute Sachen, zu schade zum Wegwerfen.“ Wo doch achtlos weggeworfene Kleidung so große Müllberge verursache.

Sie teilte ihre Gedanken, und zwar mit Frauen, die in Pension sind und sich im Kreativklub der Wiener Pensionistenklubs engagieren. So entstand die Idee, alte Kleidungsstücke zu recyceln und aufzupeppen. Und wenn dabei Schönes entsteht – warum dies nicht gleich selbst auf der Bühne präsentieren?

Gesagt, getan: 15 Frauen arbeiteten ein Jahr an ihren Entwürfen. Und die neuen Kleider werden sie selbst bei der Vienna Fashion Show am Laufsteg vorführen.

Ihre Kreationen leuchten in allen Farben: Brigitte Hrdlicka etwa zeigt ein pfirsichfarbenes Kleid. Mit Jeansjacke sei es nun ein flottes, alltagstaugliches Modell, freut sie sich. Brigitte Zellermayer wiederum hat Teile eines Kleids recycelt, mit dem sie schon in den 1970er-Jahren im KURIER zu sehen war: Denn damals war sie unter den Top-10 eines Model-Wettbewerbs gekommen.

„Wir haben Power“

Susanne Claudia Krasny (79), Gudrun Wünsch (81), Eva Bauer (68) und Angelika Högn (72) schlüpfen für den KURIER sogar kurzerhand in ihre Modelle, um sie vorzuführen. Ihr Alter dürfe man selbstverständlich erwähnen: Immerhin wollen sie zeigen, dass man immer kreativ und unternehmungslustig sein kann. „Wir sind nicht nur Kaffee trinkende alte Omis“, betonen sie. „Wir haben Power und wollen etwas umsetzen.“

Schönheit, Kreativität, Freundschaft – alles keine Fragen des Alters. Das betont auch Irena Reichel, Mitarbeiterin der Pensionistenklubs, die die kreative Leitung des Projekts übernahm. „Wir setzen damit ein Zeichen gegen Altersdiskriminierung. Gerade aufgrund der Lebenserfahrung der Frauen haben wir gemeinsam diese Harmonie und Lebensfreude erlebt.“

Das Model-Dasein

Gestritten wurde nie, gelacht dafür umso mehr. Etwa über die Schwierigkeiten des Model-Daseins. Drei bis fünf Modelle führe jede von ihnen vor, erzählen sie. Zum Umziehen bleiben eineinhalb Minuten. „Die Strumpfhose und der BH werden Zeit kosten“, sorgt sich Krasny. „Du wechselst sogar den BH?“, wundert sich Wünsch. „Na sicher, soll ich ohne rumrennen?“, erwidert Krasny. Und alle lachen.

Am Abend knallt dann übrigens doch noch ein Sektkorken im Pensionistenklub. Die Damen stoßen auf die gelungene Generalprobe an. Und darauf, dass der Applaus am Dienstag so richtig laut wird.

2024-09-08T03:26:00Z dg43tfdfdgfd