HILFE, ICH GHOSTE DICH! WARUM MICH WHATSAPP-NACHRICHTEN STRESSEN

Wieso ich fast ein Jahr gebraucht habe, um auf eine Textnachricht zu antworten? Die Antwort ist simpel und komplex zugleich.

Ich konnte es selbst kaum fassen, aber plötzlich war der Moment tatsächlich da. Nach sage und schreibe 308 (!) Tagen, also über zehn Monaten, war schlagartig dieser Impuls da, der mir sagte: "Tu es! Jetzt!" Daraufhin schnappte ich mir mein Handy, tippte auf die Facebook-Messenger-App und öffnete die Nachricht, die dort bereits geraume Zeit vor sich hindümpelte. Ungeöffnet, ignoriert, alleingelassen.

Fast ein Jahr habe ich ihr keine Aufmerksamkeit geschenkt, dennoch immer und immer wieder in den vergangenen Monaten daran gedacht, dass ich doch endlich mal antworten sollte. Was hat es mit diesem Phänomen auf sich?

Nach 308 Tagen erst geantwortet

Die Nachricht stammt von einer Studienkollegin, mit der ich mich hin und wieder getroffen habe. Das Studium war längst vorbei und wie es oft so ist, verliert man sich aus den Augen. Die Bekannte hat mir trotzdem noch jedes Jahr zu meinem Geburtstag in Form einer Facebook-Nachricht gratuliert. Einen Tag später habe ich mich bei ihr bedankt und so kam der Smalltalk-Chat ins Rollen. Man tauscht die typischen Fragen wie "Wie geht's dir so?" oder "Arbeitest du eigentlich noch bei XY?" aus.

Doch dann passierte es: Am 22. September 2022 habe ich ihre darauffolgende Nachricht nicht mehr geöffnet. Tage vergingen und von Woche zu Woche wurde es nur unangenehmer und peinlicher, verspätet doch noch zu antworten. Was also tun? Abschalten. Ignorieren. Weg mit diesem Gedanken und versuchen, mit dem schlechten Gewissen zu leben.

Und so reihte sich auch diese Nachricht in die Liste meiner ungeöffneten und/oder unbeantworteten Mitteilungen auf WhatsApp, Instagram, Facebook und Co. ein. 

Hilfe, ich ghoste Freunde und Familie!

Mir stellt sich die Frage: Ghoste ich diese Person hier eigentlich? Und, oh Gott, die Antwort lautet wohl eindeutig Ja. Zwar findet "Ghosting" in erster Linie in der Dating-Welt statt, doch lässt sich das Phänomen, dass man abrupt nicht mehr auf Textnachrichten antwortet und "wie ein Geist" verschwindet, auch bei Freundschaften und Familien beobachten. Diese Erkenntnis erschreckt mich, denn ich wurde in meiner Dating-Historie schon des öfter selbst geghostet und weiß, wie schmerzhaft diese Erfahrung sein kann.

Wenn ich daran denke, besagte Studienkollegin, meine Freund:innen oder Familienangehörigen würden ähnlich empfinden, weil ich plötzlich nicht mehr oder erst Tage später auf ihre Nachrichten reagiere, dann tut mir das äußerst leid. 

Digitale Schreibkultur mehr Fluch als Segen?

Doch ich bin nicht allein damit, habe ich schließlich ein paar Freundinnen, die es mir gleichtun. Und ich bin ihnen alles andere als böse, wenn sie mir erst ein, zwei Wochen später antworten. Brennt es, dann weiß ich, wir sind sofort füreinander da, aber diese digitale Schreibkultur, die insbesondere durch WhatsApp befeuert wurde, scheint für viele oft mehr Fluch als Segen zu sein. Ein tagtäglicher digitaler Overload an Infos, Emojis, Fotos und Sprachnachrichten überflutet einen. Kommen dann noch WhatsApp-Gruppen oder gar berufliche Kontakte, die einen via WhatsApp oder Teams erreichen wollen, dazu, ist bei mir der Ofen einfach aus.

Da wünscht man sich (manchmal zumindest) doch glatt die Zeiten zurück, in denen die auf 160 Zeichen begrenzte SMS aufgrund der Kosten dermaßen sparsam versendet wurde.

Beantworten von Nachrichten überfordert mich

Der Grund für mein "Ghosting"-Verhalten ist simpel: Mir wird es schnell zu viel, wenn mehr als eine Nachricht eintrudelt. Enthält diese dann auch noch mehrere Fragen oder einen längeren Text, kapituliere ich. Es überfordert mich und ich möchte die wenige Freizeit am Feierabend nicht damit verbringen, minutenlang auf die Buchstaben am Bildschirm zu tippen. Vertippe ich mich dann auch noch mehrmals, könnte ich explodieren. 

Nicht sofort antworten = gesunde Grenzen setzen

Mit meinen zeitverzögerten Antworten möchte ich aber niemanden zurückweisen, sondern versuche, meine eigenen Grenzen zu respektieren. Ich nehme mir heraus, dann zu antworten, wenn ich die Kraft, Lust und Zeit dafür habe. Es ist jedoch auch eine Gratwanderung, sich zu schützen und andere damit nicht vor den Kopf zu stoßen.

Das kannst du tun, wenn dich WhatsApp & Co. stressen:

  • Einen Zeitraum festlegen, wann du wie viele Nachrichten beantworten willst
  • Kontakten kurz schreiben, dass du dich beispielsweise am nächsten Tag bei ihnen meldest
  • Handy in den Flugmodus schalten, wenn du gerade gar keine Nachricht empfangen möchtest
  • Gruppenchats stummschalten
  • "zuletzt Online"-Funktion“ deaktivieren (WhatsApp-Einstellungen => Datenschutz => „Zuletzt online“-Status abändern)
  • Freud:innen vorab informieren, dass du die nächsten Tage nur eingeschränkt online bist

Antwort nach fast einem Jahr

Um auf Geschichte mit der 308 Tage lang unbeantworteten Nachricht zurückzukommen: Ich habe mich aufrichtig entschuldigt, die Bekannte hat sich nur wenige Stunden danach gemeldet und mir die Sache zum Glück nicht übel genommen. Mit meiner Antwort habe ich mir dieses Mal auch nur einen Tag Zeit gelassen – Rekord!

2023-07-28T12:09:08Z dg43tfdfdgfd