SIND TRADWIVES WIRKLICH SO SELBSTBESTIMMT UND MODERN, WIE SIE BEHAUPTEN?

Für die einen klingt es wie eine Horrorvorstellung, für die anderen nach einem modernen Märchen: Frauen, es geht zurück an den Herd! Kinder und Ehemänner als Vollzeitjob – verpackt in moderner Hülle. Die sogenannten Tradwives polarisieren gerade in den sozialen Medien. Was steckt hinter dem Wunsch und Trend, ausschließlich Hausfrau und Mutter zu sein und wieso wird die Bewegung von vielen Seiten so verpönt? Der Versuch einer Erklärung.

Sauerteigbrot backen, Marmelade kochen, Einkäufe erledigen, die Kinder für die Schule fertigmachen, Küsschen für den Mann, zurück in die Küche um – natürlich – zu BACKEN. Zugegeben, die Tradwife-Videos auf Instagram und Co. haben eine gewisse Ästhetik und strahlen eine Ruhe aus, die man auf den hektischen Plattformen selten findet. Und ist man einmal im Tradwife-Tunnel, finden sich aber dutzende Videos, in denen Frauen ihr Leben zu Hause romantisieren bis zum Gehtnichtmehr. Aber es schwebt ein fader Beigeschmack mit.

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In einer Zeit, in der Feminismus und Gleichberechtigung weit verbreitete gesellschaftliche Ideale sind, erleben wir auf einmal eine überraschende Renaissance eines altbekannten Konzepts: die Tradwives, die eine Rückkehr zur traditionellen, konservativen Hausfrauenrolle, wie sie in den 1950er Jahren verbreitet war, propagieren. Ist das rückschrittlich und eine Rolle rückwärts in allen Bestrebungen, Frauen zu ermutigen?

Was sind Tradwives?

Aber von vorne: Was sind Tradwives eigentlich? Der Begriff „Tradwife“ setzt sich auch den Begriffen „Tradition“ und „Wife“ zusammen. Auf Deutsch könnte man „Tradwife“ wohl am besten mit „Hausfrau“ übersetzen. Online bezeichnen sich die Frauen auch als „Stay at home Girlfriends“. Tradwives sehen ihre Hauptaufgabe darin, sich um Haushalt, Kinder und Ehemann zu kümmern, während der Mann der Ernährer der Familie ist. Mit dem Trend identifizieren sich vor allem Frauen, die sich ausdrücklich für ein Leben entscheiden, das sich an klassisch-konservativen Geschlechterrollen orientiert. Die selbst ernannten Tradwives verzichten also auf eine berufliche Karriere und sind Vollblut-Mutter und Hausfrau.

Vielleicht um allen Kritiker*innen den Wind aus den Segeln zu nehmen, oder weil es eben so ist, betonen die meist sehr jungen Hausfrauen immer wieder, dass ihr Lebensstil eine bewusste Entscheidung und kein Rückschritt in alte Zeiten sei. Es gehe ihnen um die persönliche Erfüllung, die sie durch das Pflegen und Hegen eines liebevollen und organisierten Zuhauses erfahren, so der Tenor.

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Tradwives und ihr Erfolg auf Social Media

Und damit sind Tradwives auf Social Media durchaus erfolgreich – wenn man Erfolg an Klickzahlen misst. Unter #tradwife finden sich fast 70 Millionen Posts auf TikTok. Die „erfolgreichsten“ Tradwife-Kanäle sind zum Beispiel „ballerinafarm“ (9,1 Mio. Follower*innen), Nara Smith (3,6 Mio. Follower*innen) oder „esteecwilliams“, die mit ihren kontroversen Clips regelmäßig Millionen Views auf TikTok einfährt. Und die Feeds und Videos der Tradwives sehen doch ein wenig nach feuchtem Traum des Patriarchats aus. Normschöne, sehr junge Frauen in hübschen Kleidchen und perfektem Make-up, die den ganzen Tag nichts anderes tun, als zu putzen, kochen, backen. Das alles so selbstverständlich, perfekt und mühelos, dass die Care Gap in sehr, sehr weite Ferne rückt. Aber eben auch: So schön und beruhigend, dass man nicht genug bekommen kann. Du merkst es vielleicht bereits, die Tradwives machen es einem irgendwie nicht leicht, eine Entscheidung zu fällen. Sie die eigentlich total gaga mit ihren verstaubten Rollenklischees oder machen die vielleicht alles genau richtig … ?

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Rückschrittlich? Die Kritik an Tradwives

Kommentare zum Hausfrauen-Dasein ließ natürlich nicht lange auf sich warten. Die Kritik an den Tradwives ist vielfältig und spiegelt die Komplexität der Debatte über Geschlechterrollen und individuelle Lebensentscheidungen wider. Während einige Frauen in der traditionellen Hausfrauenrolle Erfüllung finden, sehen Kritiker*innen darin eine Gefahr für die Errungenschaften der Gleichberechtigung und die persönliche Freiheit von Frauen. Ein zentraler Kritikpunkt ist, dass das Tradwife-Modell rückschrittliche Geschlechterrollen ordentlich fördert. Denn wozu feiern wir alle die Fortschritte im Bereich der Gleichberechtigung, wenn das Festhalten an traditionellen Rollenbildern die Erwartungen an Frauen einschränkt und sie obendrein in abhängige Positionen drängt?

Viele befürchten, dass durch die Verherrlichung der traditionellen Hausfrauenrolle die gesellschaftliche Akzeptanz von Frauen in Führungspositionen oder männerdominierten Berufen (weiter) untergraben wird. Obendrein setzt das Leben als Tradwife oft wirtschaftliche Abhängigkeit vom Ehemann oder Partner voraus. Und dann ist da noch die große Feminismus-Debatte bzw. Frage. Ist es nun feministisch, seinen Weg und seinen Lebensstil unbeirrt zu gehen? Oder ist es das komplette Gegenteil von dem, für das Feministinnen einstehen? Die Diskussion ließe sich an dieser Stelle ewig fortführen.

Gruselig wird es allerdings, wenn Tradwives mit Ratschlägen um sich werfen, wie sich die perfekte Tradwife zu verhalten hat. „Der Mann ist immer der König“, „wir tragen lieber Kleider als Hosen“, „Scheidung ist keine Lösung“. Damit schießen die Ladies doch ziemlich über das Ziel hinaus. Denn, nochmal, Frauen, die sich für ein Leben zu Hause entscheiden, sind nicht automatisch rückschrittlich. Ratschläge, die sich um alles für den Mann, aber überhaupt nicht um Gleichstellung drehen, hingegen schon. Dass sich da vielen Frauen die Nackenhaare aufstellen, ist also verständlich, denn ein Leben als Hausfrau bedeuten auf keinen Fall, sein eigenes hinten anzustellen.

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Tradwives als Flucht vor der Realität

Doch warum sind die Videos und Vorstellungen der Tradwives, heute im Jahr 2024 bei jungen Menschen so dermaßen erfolgreich? Vielleicht haben wir die Gen Z falsch eingeschätzt, denn warum sollte es für viele nicht erstrebenswert sein, ein Hausfrauen-Leben zu führen? Das wäre die einfache Antwort. Ein weiterer Ansatz könnte Eskapismus lauten. Für viele Frauen bietet das Tradwife-Modell eine scheinbar klare und strukturierte Welt, die im Kontrast zur oft chaotischen und überfordernden modernen Realität steht. Denn die Erwartungen an Frauen sind oft widersprüchlich: Karriere, Familie, Selbstverwirklichung, am besten alles auf einmal. Aber bloß nicht zu viel sein. Da erscheint die traditionelle Rolle der Hausfrau und Mutter als „einfacherer“ und klarer Weg. Diese Lebensweise bietet vermeintliche Sicherheit und Stabilität in Bezug auf Aufgaben und Erwartungen, was für viele Frauen beruhigend und schlichtweg attraktiv sein kann.

Aber eben nur zum Teil – denn wir reden hier immer noch von TikTok, Instagram und Co., in der das perfekt geschnittene Video einfach ALLES zeigen kann, was die Nutzerin will. Die Darstellung des Tradwife-Lebens wird so also oft idealisiert und zeigt eine perfekte, konfliktfreie, harmonische Welt. Genau diese Inszenierung kann eine Form des Eskapismus sein, denn sie erschafft eine vermeintliche Realität, die angenehmer und erstrebenswerter erscheint als die tatsächliche Lage. Die idealisierte Darstellung dient als Fluchtpunkt, der den harten Realitäten des Lebens entgegentritt – und hat oft so wenig mit der Realität zu tun, wie Tradwives mit Schichtarbeiten an der Supermarktkasse.

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Warum Tradwifesein ein Privileg ist

Denn eine Tradewife zu sein, ist riesengroßes Privileg, das einfach nicht die Realität vieler Frauen abbildet. Alleinerziehende Mütter oder Familien, die es gerade so über die Runden schaffen und arbeiten müssen, werden über die entspannten Videos nur müde lächeln können. Auch junge Mädchen, die nun mal den Großteil der TikTok-Userinnen ausmachen, laufen Gefahr, eine völlig verzerrte Realität von Mutterschaft vorgelebt zu bekommen.

Und ewig ruft die Rechtfertigung

Ob die Abhängigkeit von Männern, mal wieder völlig realitätsfremde Welten auf Instagram oder fragwürdige Rollenverteilungen, von denen viele Frauen mittlerweile die Nase voll haben – der Tradwife-Trend hat einige Punkte, die man kritisch hinterfragen sollte. Was ich bei dem Trend aber immer wieder im Kopf hatte, war: Warum müssen sich Frauen für jede Entscheidung rechtfertigen? Wenn du so schnell wie möglich nach der Geburt des Kindes wieder arbeiten möchtest, fein. Wenn du in der privilegierten Situation bist, zu Hause zu bleiben und (unbezahlte!) Carearbeit für Kind und Ehemann leisten kannst, go for it. Die Wut über die Romantisierung des Hausfrauendaseins, die sich viele schlichtweg nicht leisten können, kann ich ebenso nachvollziehen. Aber sollten wir nicht Frauen in all ihren Entscheidungen respektieren und wertschätzen, sofern sie denn wirklich selbstgewählt ist? Wünschenswert wäre es allemal und für mich ein wichtiger Pfeiler im Feminismus.

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